Die Niagara in der Nordwestwand der Pordoispitze in der Sellagruppe der Dolomiten ist eine der mythischen Routen der jungen Wilden der 1970er Jahre. Sie brachten das alpine Klettern ohne künstliche Hilfsmittel auf einen neuen Level. Wie der Name nahelegt, ist die Route die meiste Zeit des Jahres nass und nicht kletterbar. Auch Anfang September war es recht regnerisch, deshalb ein Durchstieg nicht möglich und ein Ersatz war geplant.

Ein glücklicher Zufall wollte es, dass Prem Darshano, einer der Exponenten der jungen Wilden, der deren Philosophie treu geblieben ist, am Vorabend beim Alpenverein Südtirol einen Vortrag über jene Zeit und seine alpinen Erstbegehungen, darunter die erste alpine Route im zehnten Grad ohne Bohrhaken, hielt. Diese Zeitreise brachte auch die Erkenntnis, dass jede Revolution, hier die des kompromisslosen Alpinismus, eine Konterrevolution hervorbringt. Letztere hat hierzulande mit der Absicherung klassischer Routen mit Bohrhaken gesiegt. Nicht von ungefähr waren die deutschen alpinen Vereine nicht daran beteiligt, dass der klassische Alpinismus den Status des Weltkulturerbes verliehen bekam. Hierzulande herrscht ein technokratischer Sicherheitsgedanke, oder mit den Worten Hanspeter Eisendles das urbane Denken, während in Südtirol noch das wilden Denken der 1970er Jahre nachklingt.

Nach dem Vortrag regnete es bis in den späten nächsten Morgen. Der dadurch notwendige Ersatz für die Ersatzroute war der Kieneriss an der Fünffingerspitze in der Langkofelgruppe. Mittags ging es mit dem Lift zur Scharte und weiter zu Fuß zum Einstieg, dann wurde es wilder, wenn auch nicht sonderlich schwer, fast ohne Haken und ganz ohne Bohrhaken, und trotz des vorangegangenen Regens strohtrocken.

 Wieder einmal gab es in dieser Route eine bemerkenswerte Stelle, die wir versuchen, bei uns im PETZ nachzubilden (ein Dank hierfür an Emanuel) und deren ungefähre Lage in der Route wir wieder mit einem Pfeil auf dem Wandfoto bezeichnen. Ihr findet unseren Boulder gleich am Eingang in der Verschneidung links neben der Treppe. Man beginnt mit dem Rücken zur Wand, um dann mit einem entschlossenen Dreh den ersten Griff zu erreichen.